Einleitung
Die Qualitätssicherung und das Softwaretesten stehen vor einer Phase tiefgreifender Veränderungen – sowohl organisatorisch als auch technologisch und personell. Während Ansätze wie DevOps, Continuous Testing und KI-unterstützte Automatisierung zunehmend den Alltag in Entwicklungsprojekten prägen, rücken gleichzeitig neue Anforderungen an Rollenprofile, Kollaboration und technische Kompetenzen in den Fokus.
Doch was genau erwartet Testmanagerinnen, Projektleiter und Qualitätssichernde in den nächsten Jahren? Um diese Frage fundiert zu beantworten, habe ich zahlreiche Stimmen aus der Praxis zusammengetragen – unter anderem aus Interviews, Fachgesprächen und OpenSpace-Sessions. Dabei flossen besonders die Erkenntnisse aus dem „Quality Brunch“ des ASQF Anfang 2025 in Hamburg sowie dem QS-Barcamp im September 2024 ein. Die dort geführten Diskussionen, Erfahrungsberichte und Zukunftsszenarien bilden die Grundlage für diesen Artikel.
Im Fokus stehen drei zentrale Themenfelder, in denen sich die Zukunft des Testens abzeichnet:
- Arbeitsumfeld und Organisationsstrukturen
- (Soft)Skills für Tester
- Technologien im Testkontext
Für jedes dieser Themenfelder beleuchte ich systematisch drei Fragen:
- Was wird sich ändern?
- Was bleibt gleich?
- Was ist ungewiss?
Diese strukturierte Betrachtung liefert Testverantwortlichen eine fundierte Grundlage, um strategische Entscheidungen für Aufbauorganisation, Weiterbildung und Technologieeinsatz zeitgemäß und zukunftssicher vorzubereiten.
Arbeitsumfeld und Organisationsstrukturen
2.1 Was wird sich ändern
Das klassische Modell eigenständiger Testabteilungen verliert zunehmend an Bedeutung. In modernen Entwicklungsorganisationen übernehmen interdisziplinäre, häufig agile Teams die Verantwortung für Qualität entlang des gesamten Entwicklungsprozesses. Das Prinzip des “Shift Left” hat sich etabliert: Qualitätssicherung beginnt früh und ist integraler Bestandteil der Produktentwicklung.
In solchen Strukturen ändert sich auch die Art der Zusammenarbeit. Teams arbeiten internationaler, häufiger remote und in schnelleren Zyklen. Englisch wird zur Kommunikationsgrundlage – nicht nur für Meetings, sondern auch für die Dokumentation, Weiterbildung und gemeinsame Tools. Dabei steht nicht mehr die Zentralität der Funktion im Vordergrund, sondern deren Beitrag zur Wertschöpfung und Lieferfähigkeit.
Mit dem zunehmenden Einsatz von Continuous Integration und DevOps-Praktiken wandeln sich auch klassische Aufgaben- und Rollenbilder. Hierarchisch organisierte Führung verliert an Relevanz. Stattdessen gewinnen Fähigkeiten zur Selbstorganisation, Vermittlung und Beratung in flachen, dynamischen Teams an Bedeutung.
2.2 Was bleibt gleich
Trotz wachsender Projektgeschwindigkeit und zunehmender Toolvielfalt bleiben bestimmte Rahmenbedingungen stabil. In regulierten Branchen – etwa in Medizintechnik, Aviation oder Automotive – gelten weiterhin etablierte Normen und Prozesse. Standards wie IEC 62304, ISO 26262 oder DO-178C verlangen strukturierte Verfahren, vollständige Dokumentation und nachvollziehbares Traceability-Management.
Auch auf struktureller Ebene bleiben einige Grundprinzipien bestehen: Fachexpertise wird auch weiterhin themenspezifisch organisiert bleiben, etwa in der Testarchitektur, dem Testdatenmanagement oder bei formalen Reviewprozessen.
Nicht zuletzt behält das kritische Hinterfragen – als Kernkompetenz der Qualitätssicherung – seinen zentralen Stellenwert. Auch in hochautomatisierten Umgebungen bleibt menschliche Urteilskraft unerlässlich.
2.3 Was ist ungewiss
Unklar ist, welche Rolle klassische Formen des Testmanagements in Zukunft spielen werden. Wenn agile Teams sich zunehmend selbst organisieren, stellt sich die Frage, ob zentrale Testverantwortung überhaupt noch erforderlich ist – oder ob sie anders wahrgenommen und verteilt wird. Auch das Spannungsfeld zwischen technischer und fachlicher Führung im Testbereich ist noch nicht klar aufgelöst.
Ungewiss ist ebenfalls, wie sich der Stellenwert manueller Tests im Arbeitsumfeld verändert. In Bereichen mit hohem Explorationsbedarf mag ihre Relevanz bestehen bleiben, in vielen industriellen Prozessen hingegen stehen sie unter kontinuierlichem Druck zur Automatisierung.
(Soft) Skills für Tester
3.1 Was wird sich ändern
Der Kompetenzrahmen für Testende erweitert sich deutlich. Klassische Test- und Dokumentationskenntnisse allein reichen nicht mehr aus. Gefragt sind umfassende Fähigkeiten im Umgang mit Automatisierungstools, Scripting, Testdatenmanagement und Continuous Integration. Wer als Tester erfolgreich bleiben will, benötigt Verständnis für Code, Architektur und Systeme.
Gleichzeitig wächst der Bedarf an kommunikativen Fähigkeiten. Da Testende zunehmend interdisziplinär eingebunden sind, braucht es Skills im Bereich Moderation, Übersetzung technischer Inhalte, Konfliktlösung und Prioritätenmanagement.
Soft Skills wie Flexibilität, Problemlösungsorientierung und Selbstorganisation entwickeln sich zu entscheidenden Erfolgskriterien – insbesondere in häufig wechselnden technischen und organisatorischen Settings.
3.2 Was bleibt gleich
Die methodischen Grundlagen des Testens, etwa Äquivalenzklassen, Grenzwertanalyse oder zustandsbasierte Testentwürfe, behalten weiter ihre Relevanz. Auch im Zeitalter der Automatisierung müssen Tests geplant, analysiert und bewertet werden. Tools leisten Unterstützung – aber nicht die konzeptionelle Arbeit.
Ebenfalls erhalten bleibt die Rolle von Testenden als Vermittler:innen im Team. Sie bringen Anforderungen, Risiken und Systeme zusammen – und sorgen für ein gemeinsames Verständnis von Qualität. In dieser Funktion wirken sie als Multiplikatoren und transparente Instanz im Projekt- oder Produktkontext.
3.3 Was ist ungewiss
Noch nicht abschließend geklärt ist, welche Perspektiven es für Testerinnen und Tester mit rein manuellem Fokus geben wird. Fest steht: Die Nachfrage nach rein ausführenden Rollen sinkt. Doch ob sich daraus neue Spezialisierungen ergeben (z. B. im Bereich Usability oder Ethikbewertung), bleibt aktuell offen.
Auch die Weiterentwicklung klassischer Karrierepfade ist unsicher. Rollen wie Testmanager ohne technisches Fundament könnten durch neue Profile abgelöst werden – etwa durch Quality Engineers mit beratender Funktion oder Product Owner mit Testverantwortung.
Schließlich stellt der wachsende Einsatz von KI im Testprozess neue, bislang nicht genormte Anforderungen an Qualifikation und Verantwortungsverteilung.
Technologien im Testkontext
4.1 Was wird sich ändern
Der technologische Fortschritt verändert das Testen grundlegend. Künstliche Intelligenz und maschinelles Lernen unterstützen bereits heute die automatische Erstellung, Priorisierung und Analyse von Testfällen. Diese Systeme nutzen historische Daten und aktuelle Nutzungsmuster, um Testaufwände gezielt auf risikoreiche Bereiche zu konzentrieren.
In Embedded-Systemen werden zunehmend KI-Komponenten verbaut, die selbst getestet und auditiert werden müssen. Das erfordert neue Testansätze, etwa für die Erklärbarkeit (“Explainability”) oder das Verhalten unter unvorhergesehenen Eingaben (Fuzzy Testing).
Toolseitig wird es zu einer weiteren Konsolidierung kommen: Plattformen für kombiniertes Testmanagement, Infrastruktursteuerung und Ergebnisanalyse werden sich durchsetzen – idealerweise integriert in DevOps-Prozesse.
Ein weiteres zentrales Thema ist Cybersicherheit. Die zunehmende Vernetzung über Cloud, IoT und mobile Endpunkte erhöht die Angriffsfläche. Security-Tests, inklusive Penetration Testing und Codehärtung, sind unverzichtbar – ebenso wie die Bewertung neuer Schwachstellen aus Lieferkettenrisiken oder Third-Party-Komponenten.
Zudem wird Post-Quanten-Kryptografie (PQC) zunehmend relevant. Mit Blick auf künftige Quantencomputer müssen neue kryptographische Verfahren in Systeme integriert und getestet werden. Auch hier entstehen neue Anforderungen für Tester – etwa bei Performanceprüfungen oder der sicheren Migration bestehender Architekturen.
Nicht zuletzt ermöglichen digitale Zwillinge und simulierte Testumgebungen den frühzeitigen Test unter realitätsnahen Bedingungen – eine Entwicklung, die insbesondere im Embedded- und Systembereich an Bedeutung gewinnt.
4.2 Was bleibt gleich
Einige Technologien bleiben aufgrund regulatorischer Anforderungen oder bewährter Effizienz erhalten – dazu zählen etwa strukturierte Testdokumentation, Regressionstests, Lasttests oder Review-Methoden. Auch Testmanagement-Systeme behalten ihre zentrale Rolle, wenn es um Nachvollziehbarkeit und Steuerbarkeit geht.
In sicherheitskritischen Branchen gelten auch zukünftig etablierte Verfahren, da diese als Grundlage für Audits und Zertifizierungen notwendig bleiben.
4.3 Was ist ungewiss
Noch ungeklärt ist, in welchem Umfang KI künftig echte Testentscheidungen treffen darf beziehungsweise sollte. Während Tools bereits heute Bewertungen vorbereiten oder automatisierte Empfehlungen geben können, ist die Frage nach Verantwortlichkeit, Nachvollziehbarkeit und rechtlicher Absicherung für automatisiertes Test-Assessment weiterhin offen.
Ebenso ist offen, wie sich das Testen von generativer KI und autonom agierenden Systemen (z. B. in Fahrzeugen oder Medizinrobotik) methodisch weiterentwickelt. Es fehlen derzeit Standards für die Bewertung komplexer, dynamischer Entscheidungslogiken.
Auch Nachhaltigkeit (Stichwort „Green Testing“) gewinnt an Bedeutung, konkrete Technologien und Verfahren zu energieeffizientem Testdesign stehen aber noch am Anfang.
Hinzu kommt Unsicherheit darüber, wie sich neue Angriffsvektoren entwickeln – insbesondere im Zuge der zunehmenden Softwarisierung klassischer Hardwareprodukte, der wachsenden Zahl an Endpunkten im IoT-Kontext oder durch autonome Systeme mit Cloud-Anbindung. Testverantwortliche werden sich darauf einstellen müssen, vermehrt mit dynamischen Bedrohungsszenarien umzugehen und Teststrategien flexibel weiterzuentwickeln.
In Summe bleibt festzuhalten: Technologie wird zum zentralen Einflussfaktor auf das Testen – sowohl als Chance für Automatisierung und Effizienzsteigerung als auch als Quelle wachsender Komplexität und Risiken. Wer zukunftsorientiert testen will, muss Technologien nicht nur anwenden, sondern auch kritisch analysieren, kontinuierlich bewerten – und sie im Zweifel auch hinterfragen.
Fazit
Die nächsten Jahre werden entscheidend für die künftige Rolle der Qualitätssicherung im digitalen Produktmanagement. Organisationen, die Teststrategien passgenau weiterentwickeln, auf lernfähige Strukturen setzen und den technologischen Wandel proaktiv begleiten, werden Qualitätsrisiken schneller erkennen und nachhaltiger managen können.
Ich sehe das Testen nicht als Auslaufmodell, sondern als Schlüsseldisziplin – allerdings in neuer Form, mit verändertem Kompetenzprofil und unter veränderten Verantwortungsmodellen. Wer heute die strukturellen Weichen stellt, kann auch in Zukunft digitale Produkte mit hoher Qualität und Sicherheit verantworten.
Oder, um mit leichtem Augenzwinkern einen bekannten Imperator zu zitieren: „Der Fortschritt lässt sich nicht aufhalten – aber er lässt sich gestalten.“
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