Testschulen – Die Analytic School

18.06.2025
Anna-Christina Feldhusen

Was sind eigentlich Testschulen – und warum solltet Ihr sie kennen?

In der Welt des Softwaretestens gibt es viele Meinungen, Methoden und Ansätze – manchmal führt das zu fruchtbaren Diskussionen, manchmal zu hitzigen Debatten. Aber woran liegt das eigentlich?
Ein möglicher Schlüssel zum Verständnis: Testschulen.

Der Begriff „Schule“ meint hier eine Denk- oder Herangehensweise, die von gemeinsamen Werten, Zielen und Techniken geprägt ist – ähnlich wie in der Wissenschaft oder Kunst. Die Klassifizierung auf Schulen kann bei Meinungsverschiedenheiten helfen, indem eine Diskussionsgrundlage geschaffen wird. Denn unterschiedliche Wertvorstellungen können erklären, warum wir unterschiedliche Strategien bevorzugen.

Der Softwaretest-Experte Bret Pettichord hat in seinem einflussreichen Paper fünf solche „Schulen“ identifiziert, die unser Denken über Qualität und Testen prägen.

Mit dieser Blogreihe möchten wir die fünf klassischen Testschulen vorstellen und gehen den Fragen nach, was die einzelnen Schulen ausmacht und wo sie sich unterscheiden.

Darüber hinaus beschäftigt sich diese Reihe final mit der „Schule“ des Modern Testing, die aus dem AB Testing Podcast von Alan Page und Brent Jensen hervorgegangen ist.

Dieser Artikel ist entstanden aus dem Vortrag „Guardians of Quality: Eine Reise durch die Schulen der Test-Galaxien“ von Georg Haupt bei den Software Quality Days 2025.

Die Analytic School: Testen mit Logik, Struktur und Präzision

Die vielleicht „klassischste“ unter den Testschulen ist die sogenannte Analytic School – vor allem in der akademischen Welt und in sicherheitskritischen Bereichen genießt diese Denkweise hohes Ansehen. Bei diesem Ansatz wird vor allem auf Klarheit, Nachvollziehbarkeit und Objektivität gesetzt.

Die Analytic School versteht Testen als eine logische, berechenbare und objektive Disziplin. Sie orientiert sich stark an Spezifikationen, mathematischen Modellen und klar definierten Regeln. Software wird als logisches Artefakt betrachtet und Testen ist technisch. Ziel ist es, möglichst umfassende und messbare Aussagen über die Qualität von Software treffen zu können. Eine Schlüsselfrage ist: Welche Techniken sollten wir verwenden?

Typische Methoden & Konzepte dieser Denkschule sind:

  • Spezifikationsbasierte Testverfahren (z. B. Äquivalenzklassen, Grenzwertanalyse);
  • Formale Modelle und Testfallgenerierung;
  • Coverage-Metriken (z. B. Statement oder Branch Coverage)

Die Haltung dahinter

In dieser Schule gilt: Was nicht spezifiziert ist, kann auch nicht systematisch getestet werden. Tests müssen reproduzierbar und nachvollziehbar sein. Fehler lassen sich am besten über Abweichungen zur Spezifikation identifizieren.

Das Testing ist hier eng mit der Entwicklungsphase verzahnt – idealerweise beginnt es schon mit der Anforderungsanalyse. Qualität wird also von Anfang an „mitgedacht“.

In der Analytic School ist die zentrale Überzeugung, dass systematisches Testen nur auf Basis klar definierter Spezifikationen möglich ist. Was nicht spezifiziert wurde, kann – aus Sicht dieser Schule – auch nicht zuverlässig überprüft werden. Entsprechend liegt der Fokus auf der Nachvollziehbarkeit und Reproduzierbarkeit von Tests: Jeder Testfall muss logisch hergeleitet, wiederholbar durchführbar und objektiv bewertbar sein. Fehler werden nicht durch subjektive Einschätzungen, sondern durch Abweichungen von den vorgegebenen Anforderungen erkannt.

Testen wird in dieser Denkschule nicht als nachgelagerte Qualitätskontrolle, sondern als integraler Bestandteil des Entwicklungsprozesses verstanden. Idealerweise beginnt es bereits in der frühen Phase der Anforderungsanalyse: Wenn Anforderungen entstehen, entstehen gleichzeitig auch die Kriterien, an denen die Software später gemessen wird. Qualität ist kein Zufallsprodukt, sondern das Ergebnis eines strukturierten, logisch fundierten Vorgehens – von Anfang an.

Vorteile

  • Hohe Nachvollziehbarkeit der Tests
  • Gut geeignet für regulierte Branchen (z. B. Medizintechnik, Automotive)
  • Fördert präzise Anforderungen und formale Dokumentation

Kritikpunkte

Gerade in agilen, dynamischen Projekten wirkt die Analytic School manchmal wie aus der Zeit gefallen. Nicht alles lässt sich spezifizieren – und manche Anforderungen ändern sich schneller, als man Tests schreiben kann.

Konfliktpotenzial: Vertreter:innen anderer Schulen, etwa der Context-Driven School, sehen die Fixierung auf Spezifikationen und Metriken oft kritisch. Sie fordern mehr Flexibilität und menschliches Urteilsvermögen.

Fazit

Die Analytic School bietet einen klar strukturierten und methodisch fundierten Ansatz, der vor allem dort glänzt, wo Präzision, Nachvollziehbarkeit und formale Korrektheit gefragt sind. Durch den engen Bezug zur Spezifikation entsteht ein objektives Testverständnis, das sich gut messen und dokumentieren lässt. Gleichzeitig zeigt sich hier aber auch die Begrenzung dieses Modells: In agilen oder sich schnell ändernden Projekten stößt ein rein spezifikationsbasiertes Testen schnell an seine Grenzen. Wer in dieser Schule denkt, braucht einen stabilen Rahmen, genaue Anforderungen und eine hohe Disziplin – und ergänzt idealerweise durch kontextbezogene oder explorative Elemente.

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