Was sind eigentlich Testschulen – und warum solltet Ihr sie kennen?
In der Welt des Softwaretestens gibt es viele Meinungen, Methoden und Ansätze – manchmal führt das zu fruchtbaren Diskussionen, manchmal zu hitzigen Debatten. Aber woran liegt das eigentlich?
Ein möglicher Schlüssel zum Verständnis: Testschulen.
Der Begriff „Schule“ meint hier eine Denk- oder Herangehensweise, die von gemeinsamen Werten, Zielen und Techniken geprägt ist – ähnlich wie in der Wissenschaft oder Kunst. Die Klassifizierung auf Schulen kann bei Meinungsverschiedenheiten helfen, indem eine Diskussionsgrundlage geschaffen wird. Denn unterschiedliche Wertvorstellungen können erklären, warum wir unterschiedliche Strategien bevorzugen.
Der Softwaretest-Experte Bret Pettichord hat in seinem einflussreichen Paper fünf solche „Schulen“ identifiziert, die unser Denken über Qualität und Testen prägen.
Mit dieser Blogreihe möchten wir die fünf klassischen Testschulen vorstellen und gehen den Fragen nach, was die einzelnen Schulen ausmacht und wo sie sich unterscheiden.
Darüber hinaus beschäftigt sich diese Reihe final mit der „Schule“ des Modern Testing, die aus dem AB Testing Podcast von Alan Page und Brent Jensen hervorgegangen ist.
Dieser Artikel ist entstanden aus dem Vortrag „Guardians of Quality: Eine Reise durch die Schulen der Test-Galaxien“ von Georg Haupt bei den Software Quality Days 2025.
Die Standard School: Testen als strukturierter Prozess
Die Welt des Softwaretestens kann chaotisch wirken – unterschiedliche Anforderungen, wechselnde Teams, knappe Deadlines. Die Antwort der Standard School auf dieses Chaos lautet: Struktur, Prozesse und Best Practices. Wer klare Regeln hat, kann reproduzierbar gute Ergebnisse liefern – so die Grundhaltung dieser Schule.
Die Standard School sieht Testen als einen kontrollierten, planbaren und standardisierbaren Prozess. Es geht darum, durch etablierte Vorgehensmodelle, Rollen und Artefakte einheitliche Qualität sicherzustellen – unabhängig von Personen oder Projektkontext. Testen muss also nicht nur vorhersehbar und planbar sein, sondern auch kosteneffektiv. Software wird als Fließbandprodukt betrachtet, welches durch Testen validiert wird. Schlüsselfragen dieser Schule sind: Wie können wir messen, ob wir Fortschritte machen? Wann werden wir fertig sein?
Typische Elemente dieser Schule sind:
- Standardisierte Testprozesse (z. B. nach ISTQB, IEEE oder ISO)
- Testpläne, Teststrategien, Risikobewertungen
- Teststufen (z. B. Unit, Integration, System, Abnahme)
- Dokumentation, Reviews und nachvollziehbare Freigaben
Die Haltung dahinter
Testprozesse sollen skalierbar und wiederholbar sein. Das bedeutet: Wenn jemand krank wird, muss eine andere Person nahtlos übernehmen können. Wissen soll dokumentiert, nicht nur in Köpfen gespeichert sein.
Diese Schule ist besonders beliebt in großen Unternehmen, regulierten Industrien oder bei der Arbeit mit Offshore-Teams.
Vorteile
- Konsistenz über Projekte hinweg
- Gute Grundlage für Audits, Zertifizierungen oder externe Partner
- Fördert Verlässlichkeit und Prozessdisziplin
Kritikpunkte
Die Standard School steht oft in der Kritik, zu bürokratisch oder starr zu sein. In agilen Projekten kann der Fokus auf Prozesse und Dokumentation leicht zu Reibungspunkten führen – insbesondere, wenn schnelles Feedback gefragt ist. Die klar geforderten Grenzen zwischen Testing und anderen Aktivitäten können sowohl Vor- als auch Nachteil sein.
Vertreter:innen anderer Schulen (wie der Context-Driven oder Agile School) werfen ihr vor, menschliche Fähigkeiten und Flexibilität zu vernachlässigen. Der Vorwurf: „Zu viel Papier, zu wenig Denken.“ – Zertifizierungen seien in dieser Schule dominant, da sie austauschbare Tester erzeugen.
Fazit
Die Standard School bringt Ordnung und Struktur in komplexe Testlandschaften. Mit normierten Prozessen, dokumentierten Abläufen und klaren Rollen schafft sie Planungssicherheit, Vergleichbarkeit und Effizienz – besonders in großen, arbeitsteilig organisierten Teams oder bei wiederkehrenden Testaufgaben. Ihre Stärke liegt in der Reproduzierbarkeit und im Aufbau skalierbarer Testprozesse. Doch gerade diese Stärke kann zum Nachteil werden, wenn Projekte Flexibilität, schnelles Feedback oder kreative Lösungswege erfordern. Die Standard School bietet einen wertvollen stabilen Rahmen, den man aber gelegentlich anpassen oder verlassen können muss, um wirklich gute Qualität zu erreichen.
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