Jeden Tag stehen wir als Software Tester:innen vor großen Herausforderungen. Zu den typischen Aufgaben zählen die Analyse von Anforderungen, die Erstellung von Testfällen und der Vergleich von Soll- und Ist-Ergebnissen in Form von Tabellen, Texten, Werten oder Designs. Die Fähigkeiten für diese Aufgaben spiegeln sich oft in den Schwerpunkten wider, welche wir in unseren Lebensläufen oder Projektübersichten hervorheben: analytisches und logisches Denkvermögen, lösungsorientierte Herangehensweise sowie eine hohe Detailgenauigkeit. Unsere Tätigkeit als Tester:in erfordert jedoch nicht nur die Beherrschung dieser Fähigkeiten, sondern auch eine kontinuierliche kognitive und visuelle Höchstleistung. In unserer schnelllebigen Gesellschaft ist dies besonders herausfordernd.
Blicksprünge
Es ist nicht verwunderlich, dass wir aufgrund der ständigen Bildschirmarbeit mit Kopfschmerzen und Verspannungen kämpfen, von Erschöpfung überwältigt werden und beim Lesen eines Textes abschweifen. Doch wie entstehen diese Symptome? Schauen wir uns bezüglich der visuellen Leistung die Augenbewegungen einer Testerin aus unserem letzten Projekt genauer an. Die Testerin las eine User Story von ungefähr 100 Wörtern. Der Text wurde auf dem Bildschirm angezeigt, während zwei Kameras die Blickbewegungen beider Augen während des Lesens aufzeichneten. Das erste Diagramm zeigt die Resultate des Lesens.
Diagramm 1 : Leseleistung vor dem Training
Ein steigender Wert zeigt dabei eine Augenbewegung nach rechts an, während ein fallender Wert eine Augenbewegung nach links darstellt. Die größeren Sprünge nach unten zeigen, dass die Augen der Probandin zum Anfang der nächsten Zeile gesprungen sind. Idealerweise sollte eine stetig ansteigende Treppenform für jede Zeile entstehen. In der Grafik ist allerdings deutlich erkennbar, dass die Leserin nicht effektiv las, da viele unnötige Augenbewegungen getätigt wurden. An vielen Stellen erfolgte ein Rücksprung der Augen, die zu diesem nicht harmonischen Bild führten.
Die Resultate dieser Diagramme unterstreichen die Aussagen der Testerin, die über Kopfschmerzen klagte und des Öfteren beim Lesen abschweifte. Diese Probleme resultieren häufig aus einer verspannten oder sogar verkrampften
Augenmuskulatur, was sich auch in einem Gefühl von Augendruck, trockenen Augen und häufigem Reiben der Augen zeigt.
Visualhygiene und professionelles Training
Durch die Optimierung der Augenbewegungen wird das Lesen schneller und präziser möglich, auch ohne vorzeitige Ermüdungserscheinungen. Die Durchführung eines professionellen Trainings zur Verbesserung der Augenbewegungen ist dabei hilfreich. Dieses beinhaltet ein Assessment mit anschließender Bearbeitung eines individuellen Trainingsplans. Die ersten positiven Resultate sind bereits nach einigen Wochen messbar. Das folgende Diagramm zeigt die Lese-Ergebnisse der Testerin nach einer absolvierten und auf Sie abgestimmte Trainingsreihe. Die Treppenform lässt sich gut erkennen. Das Lesen erfolgte insgesamt deutlich schneller und effektiver.
Diagramm 2 : Leseleistung nach dem Training
Neben diesem professionellen Ansatz bieten auch einfache Maßnahmen der sogenannten Visualhygiene Möglichkeiten, die Leistungsfähigkeit unserer Augen aufrechtzuerhalten. Diese umfassen beispielsweise regelmäßige Pausen bei der
Bildschirmarbeit, ausreichendes Licht, die richtige Entfernung und Positionierung zum Bildschirm sowie die Vermeidung von Augenreiben. Eine bewährte Methode ist die Anwendung der “20-20-20 Regel”: Alle 20 Minuten für 20 Sekunden in die Ferne blicken, idealerweise mindestens 20 Meter entfernt. Ebenso hilfreich ist das vorübergehende Abdecken der Augen mit den Händen, bis eventuell wahrgenommene Blitze oder Lichtflecken verschwinden. Zudem können Augenübungen in alle Richtungen durchgeführt werden, wobei die Augen für etwa fünf Sekunden in jeder Position verweilen sollen. Bei einer verspannten Augenmuskulatur spüren viele Menschen eine erhebliche Anspannung und möglicherweise leichten Schwindel. Diese Symptome nehmen durch regelmäßige Wiederholungen allmählich ab.
Steigende Popularität in vielen Bereichen
Das Thema Visualtraining gewinnt zunehmend an Popularität und bietet nicht nur Spitzensportlern die Möglichkeit, in entscheidenden Momenten Höchstleistungen abzurufen oder Kindern mit Lese-Rechtschreib-Schwäche das Lesen und Schreiben zu erleichtern. Es ist auch von großem Nutzen für uns als Tester:innen und allen Personen, die viel Zeit am Computer verbringen und dabei kognitive und visuelle Schwerstarbeit leisten. Dazu zählt auch das von Managern beliebte Gebiet Speed Reading, um Texte in kürzester Zeit schneller zu erfassen und besser zu verstehen.
Fazit
Wir sitzen immer mehr vor unserem Bildschirm am Notebook, Tablet oder Smartphone. Dabei verlernen wir allmählich das richtige Sehen und kämpfen mit Stresssymptomen. Durch gezieltes Training und die Beachtung der Visualhygiene können wir unsere Anfälligkeit für visuellen Stress verringern. Dadurch sind wir in der Lage, visuelle und kognitiven Höchstleistungen abzurufen, was sich letztlich auch auf unsere berufliche Effizienz – zum Beispiel zur schnelleren Fehlerfindung – sowie auf unsere Lebensqualität auswirken wird.
Der Autor Christian Odenthal ist seit 20 Jahren als Testexperte tätig. Eine seiner großen Leidenschaften ist das Visual- und Kognitionstraining, welches er in seine tägliche Arbeit und Sport integriert.
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